Das Projekt „Frage-Zeichen. Jugendliche im Gespräch mit Zeitzeug_innen des Nationalsozialismus“ war im September 2012 als großes Experiment gestartet. Die Grundidee des Projekts war ungewöhnlich: Jugendliche und nicht Historiker_innen beschäftigen sich mit den Biografien ihrer Interviewpartner_innen, überlegen sich Fragen und führen die Gespräche.
Auf dieses Konzept wurde zunächst aus der Fachwelt mit einer gewissen Skepsis reagiert: Sind Jugendliche in der Lage Gespräche mit Zeitzeug_innen zu führen? Doch gerade diese Perspektive der Jugendlichen und nicht das Fachinteresse von Historiker_innen sollte das Projekt auszeichnen. Jugendliche sollten fragen können, was sie interessiert und so gleichzeitig durch den Blick von heute auf die damalige Zeit ein Zeichen setzen. In einer gemeinsamen Vision wollten wir ein Medium schaffen, mit dem das Interesse an den Geschichten der Zeitzeug_innen und der Zeit des Nationalsozialismus in Stuttgart auch bei anderen Jugendlichen geweckt werden würde.
Das Projekt hatte zwei Ausgangspunkte – die Erfahrungen des Stadtjugendrings Stuttgart e.V. in der politisch-historischen Jugendbildung und die Kontakte der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen zu Überlebenden und ihren Angehörigen. Mitglieder der Stolperstein-Initiativen, die in vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis zu den Zeitzeug_innen aufgebaut hatten, konnten den Jugendlichen die Tür öffnen und ihnen beratend zur Seite stehen. Durch die enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Schulen war es möglich Jugendliche mit den Zeitzeug_innen in Kontakt zu bringen.
Das Projekt startete zunächst mit zehn Interviews. Nachdem die Anschlussfinanzierung gesichert war konnten weitere Gespräche geführt werden. Uns wurde sogar die Möglichkeit eröffnet Zeitzeug_innen 2014 in Israel und 2016 in den USA zu besuchen und zu befragen. Insgesamt wurden 24 Interviews geführt und es waren 106 Menschen an dem Projekt beteiligt: 24 Zeitzeug_innen, 8 unterstützende Angehörige, 39 Jugendliche, 4 Mitarbeiter_innen des Stadtjugendrings, 22 Menschen aus den Stolperstein Initiativen sowie aus anderen Initiativen der Erinnerungskultur und 9 Mitarbeiter_innen aus der Filmproduktion.
„Frage-Zeichen“ war von Anfang an ein kommunikatives und kein Forschungsprojekt. Das Ziel war es Jugendliche mit den Lebenserfahrungen von Zeitzeug_innen in Berührung zu bringen und sie die Fragen stellen zu lassen, deren Antworten sie interessieren und die ihnen die Zeit des Nationalsozialismus näherbringen. Die Filme sind nicht nur Zeugnisse der Schrecken der NS-Zeit und der negativen Erfahrungen der Zeitzeug_innen, sondern auch des (schönen) Lebens. Viele der interviewten Zeitzeug_innen sind leider inzwischen verstorben und haben uns in den Gesprächen ihre Gedanken und Erfahrungen hinterlassen.
Neben sehr interessanten und einzigartigen Gesprächen, die wir uns im Vorfeld erhofft hatten, gab es diverse Nebeneffekte des Projektes. Nicht nur die Gespräche zwischen den Jugendlichen und den Zeitzeug_innen, sondern auch die intensive Zusammenarbeit zwischen den Stolperstein-Engagierten und den Schüler_innen brachten unterschiedliche Generationen einander näher. Die besondere Atmosphäre der Gesprächssituationen war sicherlich der Tatsache geschuldet, dass dort Jugendliche mit Menschen Gespräche über das Leben und den Tod führten, die ihre Groß- und auch Urgroßeltern hätten sein können. Erfreulicherweise erfuhren wir große Unterstützung des Projektes durch die Angehörigen der Zeitzeug_innen, die auf unterschiedliche Art und Weise zum Gelingen der Gespräche beigetragen haben. Ein weiterer wunderbarer Nebeneffekt des Projektes war die Vernetzung der Zeitzeug_innen untereinander. Es entstanden Beziehungen, die z.T. heute noch bestehen.
Gelingen konnte das Projekt nicht zuletzt dadurch, dass wir mit Steffen Kayser einen erfahrenen und engagierten Filmemacher „im Boot“ hatten, der den Jugendlichen half, vor der Kamera zu sprechen, der sensibel zu einer entspannten Gesprächssituation beitrug und aus stundenlangen Aufnahmen interessante Kurzfilme entwickelte.
Die Zusammenarbeit zwischen der bürgerschaftlichen Initiative der Stolpersteine in Stuttgart, dem Stadtjugendring Stuttgart, sowie dem Filmemacher und seinem Team war produktiv, sich gegenseitig inspirierend und sehr vertrauensvoll.
Wir möchten uns ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken – bei den Zeitzeug_innen und deren Angehörigen, bei den Jugendlichen, die sich für die Geschichte interessiert und viel Zeit investiert haben, bei den engagierten Lehrkräften, bei den Mitwirkenden von den Stolperstein-Initiativen, bei der Stadt Stuttgart und natürlich bei Steffen Kayser und seinem Team.
August 2023
Alexander Schell (Stadtjugendring Stuttgart e.V.) und Harald Stingele (Stuttgarter Stolperstein-Initiativen)
Die entstandenen Filme sind auf dieser Webseite abrufbar und frei zugänglich. Uns war und ist es wichtig, die Gespräche einer großen interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und es gleichzeitig Bildungseinrichtungen möglich zu machen, mit den Filmen zu arbeiten.
Wir bieten Workshops an, in denen wir mit den Filmen arbeiten. Außerdem kann eine DVD-Box mit allen Filmen gegen eine Schutzgebühr bei uns bestellt werden. Anfragen schicken Sie bitte an: Friederike Hartl, Stadtjugendring Stuttgart e.V., friederike.hartl@sjr-stuttgart.de